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Praxisbeispiel Ausbildung zum Anlagenmechaniker mit Hilfe einer Virtual Reality-Brille bei der Jean Lürgen GmbH

Wo lag die Herausforderung?

Der ehemalige Auszubildende hat eine Sehbehinderung, die ihn am Punkt des schärfsten Sehens kaum beziehungsweise nur sehr unscharf sehen lässt. Er benötigt deshalb Hilfsmittel, um optische Informationen in diesem Bereich wahrnehmen zu können. So auch für das in der praktischen Abschlussprüfung geforderte Schweißen, das er ohne optische Hilfsmittel nicht durchführen und damit auch nicht die Prüfung bestehen konnte.

Was wurde gemacht?

Zur Wahrnehmung der Informationen in der Berufsschule, beim Schweißen, der Abschlussprüfung und der täglichen Arbeit müssen diese optisch vergrößert werden, dazu nutzt er folgende Hilfsmittel:
- VR-Brille (Virtual Reality) mit einem Smartphone und spezieller Recheneinheit zum Schweißen
- mobile Bildschirmlesegeräte und eine Lupenbrille in der Berufsschule und am Arbeitsplatz
- Vergrößerungssoftware auf einem Laptop in der Berufsschule
- Digitale Tabellenbücher auf einem Tablet für die Berufsschule und Abschlussprüfung

Durch den Einsatz der Hilfsmittel konnte der Anlagenmechaniker seine Ausbildung erfolgreich beenden und wurde vom Unternehmen anschließend direkt übernommen.

Schlagworte und weitere Informationen

Das Hilfsmittel zur Vergrößerung beim Schweißen wurde im Rahmen eines Projektes über die Ausgleichsabgabe durch das LVR-Inklusionsamt gefördert. Am Projekt waren der Technische Beratungsdienst des LVR-Inklusionsamts, Fachberater für Inklusion der Handelskammer, Integrationsfachdienst Sehen, die Firma BOS Connect GmbH und ein Förderverein für sehbehinderte Menschen beteiligt. Die begleitende Beratung und Unterstützung erfolgte dabei im Wesentlichen durch den Inklusionsberater der Kammer und den Integrationsfachdienst Sehen, der auch die Beratung und Empfehlung in Bezug auf die sonst genutzten Hilfsmittel übernahm und den Weg ins Berufsleben des Anlagenmechanikers bereits seit der Schule aktiv begleitete.
Die weiteren Hilfsmittel wurden im Rahmen der Einstellung des Azubis zur Ausbildung von der Arbeitsagentur gefördert. Sie zahlte dem Unternehmen auch einen Ausbildungszuschuss zur Förderung der Ausbildung für einen Azubi mit einer Schwerbehinderung.
In REHADAT finden Sie auch die Adressen und Telefon-Nummern der Integrationsfachdienste, Inklusionsberaterinnen und Inklusionsberater der Kammern, Integrations- beziehungsweise Inklusionsämter und Arbeitsagenturen.

Unternehmen:

Bei dem lang bestehenden mittelständischen Familienunternehmen handelt es sich um einen Betrieb, der die gesamte Palette der Haustechnik anbietet. Dazu gehören Heizung-, Sanitär- und Klimatechnik mit den Bereichen Dampfheizungen, digitale Leittechnik, Photovoltaik, Solartechnik, Wärmepumpen, Kältetechnik, Brennwerttechnik und Blockheizkraftwerke. Früher arbeitete der Betrieb schwerpunktmäßig für Industrieunternehmen, während heutzutage die Kundschaft überwiegend aus Kommunen und Architekturbüros besteht.
Das Unternehmen bildete einen jungen Mann mit einer Sehbehinderung aus. Im Rahmen der Ausbildung kam es in Bezug auf die praktische Abschlussprüfung zu Schwierigkeiten bei der Ausführung eines Inhaltes beziehungsweise beim Gasschweißen.

Kommentar des Ausbilders:

"Ich höre bei uns oft in der Branche den Satz 'Das geht nicht!'. Irgendwann kommt aber einer, der weiß das nicht. Der hat nicht gehört, dass die Anderen das gesagt haben und der macht das einfach. Es geht alles, man muss nur wollen."

Behinderung und Beeinträchtigung des Mitarbeiters:

Der Mann hat Morbus Stargardt, eine Seherkrankung, die ihn am Punkt des schärfsten Sehens kaum beziehungsweise nur sehr unscharf sehen lässt. Er kann dementsprechend visuelle Informationen in diesem Bereich nur eingeschränkt wahrnehmen und ist aufgrund der Beeinträchtigung schwerbehindert.

Übergang Schule - Ausbildung:

Der Mann hatte noch während seiner Schulzeit anfangs den Berufswunsch Kfz-Mechatroniker zu werden. Trotz eines erfolgreichen Praktikums konnte er allerdings aufgrund seiner Erkrankung die Ausbildung nicht absolvieren, da für diese Ausbildung ein Führerschein unerlässlich ist und er diesen behinderungsbedingt nicht machen kann. Etwas später machte er dann ein Praktikum und danach noch einen Ferienjob bei seinem jetzigen Unternehmen. Danach war man dort so überzeugt von den Leistungen, dass ihm ein Ausbildungsplatz zum Anlagenmechaniker Heizung-, Sanitär-, Klimatechnik angeboten wurde – den er auch annahm.

Kommentar des Azubis:

"Am ersten Schultag in der Berufsschule hat der Lehrer zu mir gesagt: 'Wenn du deine Prüfung am Ende bestehen willst, musst du schweißen.' "Nach allem was ich hier erlebt habe wurde nicht geschweißt, es wurde nur gepresst.'"

Ausbildung und Beruf:

Zu Beginn der Ausbildung stellte sich heraus, dass der Mann zur Ausbildung bestimmte Anpassungen benötigt. Dies galt insbesondere für das im Bereich der praktischen Abschlussprüfung einzusetzende Gasschmelz-Schweißen (vgl. Bild 1), bei dem es ihm aufgrund der Seheinschränkung nicht möglich war, eine saubere Schweißnaht herzustellen.
Da in der betrieblichen Praxis in der Regel solche Schweißverbindungen durch Pressverbindungen ersetzt werden, sprach der Ausbilder des Betriebs mit der für die Abschlussprüfung zuständigen Handwerkskammer. Im Gespräch versuchte er die Kammer von einer Anpassung der Prüfung zu überzeugen – was so nicht gelang.
Die relevanten Schwierigkeiten beziehungsweise Einschränkungen beim Scheißen und damit das Bestehen der praktischen Abschlussprüfung konnten schließlich mit Hilfe von beraten Fachdiensten gelöst werden. Sie verwiesen dabei auf die Möglichkeit, eine VR-Brille (Virtual Reality) mit einem Smartphone zur Vergrößerung der Schweißstelle einzusetzen. Über eine Firma, die spezielle Kameras zur Beobachtung für das automatisierte Schweißen produziert, konnte der Kontakt zum Prototypenhersteller BOS Connect vermittelt werden. Das Unternehmen entwickelte und stellte dann das Hilfsmittel her, mit dem Azubi Schweißnähte in geforderter Qualität herstellen kann (vgl. Bild 2-4).
Zur optischen Wahrnehmung der Inhalte des theoretischen Teils der Abschlussprüfung durfte der Azubi seine Hilfsmittel zur Vergrößerung einsetzen und erhielt außerdem als weiteren Nachteilsausgleich einen Zeitzuschlag - diesen erhielt er auch für den praktischen Teil der Abschlussprüfung.
Durch den Einsatz der Hilfsmittel und den Nachteilsausgleich konnte er die Prüfung erfolgreich zum Anlagenmechaniker abschließen. Der Betrieb übernahm ihn im Anschluss in ein festes Arbeitsverhältnis als Installateur für Klima, Heizung und Sanitär.

Kommentar des Ausbilders:

"Vor allem als es dann darum ging, dass der Mitarbeiter erst nicht zur Prüfung zugelassen werden sollte aufgrund seiner Einschränkung. Dadurch habe ich erst versucht eine Prüfung zu organisieren, wo dieser Bereich rausfällt. Das war aber nicht möglich. Dann gab es noch die Lösung mit dieser Spezialbrille, die dann entwickelt worden ist und da standen wir schon im engen Kontakt mit dem Inklusionsamt."

Eingesetzte Hilfsmittel:

Das zum Schweißen eingesetzte Hilfsmittel ermöglicht eine vergrößerte dreidimensionale Darstellung über VR-Brille mit Smartphone, so dass die Schweißstelle vom Azubi ab einem bestimmten Zoomfaktor ausreichend wahrgenommen werden konnte. Über Fußtaster, für die mobile und für den thermischen Einsatz geeignete Rechen-Einheit, erfolgte dabei die Einstellung des Zooms und der Belichtung (vgl. Bild 5 und 6). Durch die Bedienung über die Fußtaster konnte der Azubi beide für das Schweißen erforderliche Hände einsetzen. Zum Schutz beim Schweißen wurde vor der VR-Brille ein Licht- / UV-Filter zwischen Glasscheiben angebracht, die den Filter und die VR-Brille vor Schweißspritzer schützen – beides ist auswechselbar.
Für den theoretischen Teil der Ausbildung nutzte er zum Erkennen der Tafelbilder in der Berufsschule ein mobiles Bildschirmlesegerät. Dessen Kamerakopf konnte er in Richtung Tafel schwenken, um so die Inhalte auf einem Laptop mit Hilfe einer Vergrößerungssoftware sehen beziehungsweise lesen zu können. Ergänzend setze er auch eine Lupenbrille ein, um Texte in Büchern oder auf Arbeitsblättern zu lesen. Auch heute als ausgebildete Fachkraft, kann er die Lupenbrille beispielsweise nutzen, um Displays an Anlagen zu lesen.
Zum sonstigen Erkennen und Lesen von Informationen, wie Installations- / Wartungsanleitungen und auf Etiketten im Lager, benutzt er eine sogenannte elektronische Lupe (vgl. Bild 7).
Auch bestimmte Informationen, wie Tabellenbücher, lagen ihm für die Berufsschule und Abschlussprüfung in digitaler Form auf einem Tablet vor.

Eingesetzte Hilfsmittel - Anzeigen der Produkte:

Arbeitsplatz und Arbeitsaufgabe:

Der ausgebildete Anlagenmechaniker arbeitet in einem Team vor Ort bei der Kundschaft auf den Baustellen. Im Allgemeinen stellt er morgens mit seinem Team dazu im Betrieb die benötigten Materialien zusammen und fährt dann als Beifahrer mit Team sowie Material mit dem Firmenwagen zur Baustelle. Dort werden dann Anlagen zu Ver- und Entsorgung der Gebäude, neu installiert, gewartet und repariert. Dazu gehören dann beispielsweise:
- Toiletten und Waschmöglichkeiten
- Heizungen,
- Klimaanlage und
- Solaranlagen.

ICF-Items

Assessments - Verfahren und Merkmale zur Analyse und Bewertung

  • ERGOS - Sehen
  • IMBA - Sehen

Referenznummer:

PB/111168


Informationsstand: 02.08.2022