1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
3. Die Berufung wird zugelassen.
Streitig ist, ob die Beklagte Fahrtkosten des Klägers zu seiner Arbeitsstelle während der stufenweisen Wiedereingliederung bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit erstatten muss.
Der .... geborene Kläger ist Pflichtmitglied der Beklagten und seit als Postzusteller für Briefe und Pakete beschäftigt. Eine Schwerbehinderung des Klägers ist mit einem
GdB von 20 anerkannt. Die Arbeitsstelle des Klägers in B.... ist auf der kürzesten Straßenverbindung 33,3
km von seinem Wohnort entfernt. Im Zeitraum vom 01.12.2020 bis 10.04.2021 war der Kläger arbeitsunfähig erkrankt. Die für den Zeitraum vom 13.01.2021 bis 13.02.2021 durch seinen behandelnden Hausarzt vorgesehene stufenweise Wiedereingliederung des Klägers wurde zum 01.02.2021 erkrankungsbedingt abgebrochen. Zu den Einzelheiten wird auf die Kopie des Wiedereingliederungsplans Bl. 16 der Gerichtsakte (GA) verwiesen. Ab 02.02.2021 bis 03.03.2021 erfuhr der Kläger eine stationäre orthopädische Rehabilitationsmaßnahme zu Lasten der Deutschen Rentenversicherung.
Mit elektronischer Nachricht vom 11.01.2021 über das Kontaktformular der Beklagten sowie nachfolgendem Schreiben vom 18.01.2021 beantragte der Kläger Kostenerstattung für seine Hin- und Rückfahrten zur Arbeitsstelle während der Wiedereingliederung. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 25.01.2021 ab. Für die stufenweise Wiedereingliederung sei ein Anspruch auf Fahrtkostenerstattung nach den gesetzlichen Bestimmungen nicht gegeben. Der Widerspruch des Klägers blieb mit Widerspruchsbescheid vom 07.06.2021 ohne Erfolg.
Mit der am 07.07.2021 erhobenen Klage bringt der Kläger vor, auch die stufenweise Wiedereingliederung sei eine Leistung der medizinischen Rehabilitation und die Beklagte daher gemäß
§§ 60 Abs. 5,
74,
13 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) zur Kostenerstattung verpflichtet. Die Fahrtkosten seien ausgehend von der kürzesten Straßenverbindung und 14 absolvierten Arbeitstagen in Höhe von 186,48
EUR (66,6
km x 14 Tage x 0,20
EUR) gemäß § 5
Abs. 1 Bundesreisekostengesetz zu erstatten.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 25.01.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.06.2021 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Fahrtkosten bei stufenweiser Wiedereingliederung für den Zeitraum 13.01.2021 bis 01.02.2021 in Höhe von 186,48
EUR zu erstatten.
Die Beklagte beantragt
Klageabweisung.
Die Beklagte macht geltend, die stufenweise Wiedereingliederung nach § 74
SGB V werde als medizinische Rehabilitationsleistung nicht durch die Beklagte erbracht, sondern sei durch ein Zusammenwirken von Arbeitgeber und Arbeitnehmer auf der Grundlage des betrieblichen Eingliederungsmanagements nach
§ 167 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) geprägt. Eine Erkrankung sei auch nicht mit einer Behinderung i.
S. des
§ 44 SGB IX gleichzusetzen.
Zu den weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen sowie die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen. Die Beteiligten haben einer Entscheidung der Kammer ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.
Die als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage gemäß § 54
Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) zulässige Klage, über die die Kammer im Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124
Abs. 2
SGG ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte, ist unbegründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen Rechte des Klägers nicht.
1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Fahrtkostenerstattung aus § 60
SGB V.
a) Gemäß
§ 60 Abs. 1 Satz 1 SGB V übernimmt die Krankenkasse nach den Absätzen 2 und 3 die Kosten für Fahrten [...], wenn sie im Zusammenhang mit einer Leistung der Krankenkasse aus zwingenden medizinischen Gründen notwendig sind. Die Tatbestandsvoraussetzungen von § 60
Abs. 2, 3
SGB V sind offensichtlich nicht erfüllt, weil die Arbeitstätigkeit zur Wiedereingliederung keine stationär erbrachte Leistung oder Krankenbehandlung darstellt.
b) Gemäß § 60
Abs. 5
SGB V werden Fahr- und andere Reisekosten im Zusammenhang mit Leistungen zur medizinischen Rehabilitation nach
§ 73 Abs. 1 bis 3 SGB IX übernommen. Allerdings handelt es sich bei der stufenweisen Wiedereingliederung nicht um eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation. Leistungen der Krankenkasse zur medizinischen Rehabilitation sind abschließend in
§§ 40 bis
43 SGB V aufgeführt. Die stufenweise Wiedereingliederung nach § 74
SGB V ist dabei jedoch nicht mit der Belastungserprobung als Leistung nach
§ 42 SGB V deckungsgleich.
aa) Denn die Belastungserprobung ist in einen ärztlichen Behandlungsplan eingebettet und erfolgt auf Verordnung des Vertragsarztes
ggf. auch außerhalb eines Arbeitsverhältnisses zur Feststellung, ob der Versicherte bereits den Anforderungen einer -
ggf. seiner bisherigen - Erwerbstätigkeit ohne gesundheitliche Gefährdung gewachsen, d.h. belastbar ist oder weitere Therapieschritte erforderlich sind (
vgl. Welti in Becker/Kingreen,
SGB V, 7. Auflage, § 42 Rz. 6, eingehend Waßer in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl., § 42
SGB V [Stand: 15.06.2020], Rz. 18 - 21 m. w. N.). Die Belastungserprobung stellt sich der Kammer damit als Teil der ärztlichen Diagnostik und Krankenbehandlung dar und ist insoweit auch Leistung der Krankenkasse.
bb) Demgegenüber setzt die stufenweise Wiedereingliederung als bloße Maßnahme - nicht Leistung - der medizinischen Rehabilitation (
vgl. Sichert in Becker/Kingreen,
SGB V, 7. Auflage, § 74 Rz. 1) bereits die ärztliche Feststellung voraus, dass der Versicherte ungeachtet fortbestehender Arbeitsunfähigkeit eingeschränkt belastbar ist (Sichert a.a.O., Rz. 6 m. w. N.). Damit bestimmt sich die Maßnahme allein nach dem Einvernehmen zwischen Arbeitgeber und Versicherten in dem ärztlich empfohlenen Rahmen der teilweisen Wiederaufnahme der Erwerbstätigkeit. Die Krankenkasse gewährt, abgesehen von der durch fortbestehende Arbeitsunfähigkeit bedingten Krankengeldzahlung, dabei gerade keine eigene Leistung (
vgl. Sichert a. a. O, Rz. 27 mit Darstellung des Streitstandes). Entsprechend ist die Regelung der stufenweisen Wiedereingliederung systematisch auch nicht im Leistungsrecht des 3. Kapitels, sondern im die Beziehungen der Krankenkassen zu den Leistungserbringern regelnden 4. Kapitel des
SGB V erfolgt. Der bei abweichender Betrachtung unvermeidlich entstehende Wertungswiderspruch zwischen einerseits für Fahrten zur Krankenbehandlung überaus restriktiv gewährten Fahrtkosten nach § 60
Abs. 1
SGB V (Fahrtkosten nur bei zwingenden medizinischen Gründen) und andererseits weitgehender Kostenerstattung für Fahrten bei Leistungen zur medizinischen Rehabilitation nach § 60
Abs. 5
SGB V bestärkt die Kammer in ihrer Überzeugung von der Tragfähigkeit des systematischen Arguments mit klarer Unterscheidung von Leistungen und Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation. Der durch die Klägerseite zitierten Auffassung der 18. Kammer des Sozialgerichts Dresden vermag sie daher weiter nicht zu folgen und hält an ihrem im Urteil der Kammer vom 08.09.2021, Az.
S 22 KR 100/21 vertretenen Normverständnis fest.
2. Mangels Leistung der medizinischen Rehabilitation seitens der Beklagten scheidet auch § 73
Abs. 1
SGB IX als Anspruchsgrundlage aus. Aus den - jeweils im Rahmen von Erstattungsstreiten zwischen Krankenkassen und gesetzlicher Rentenversicherung als Rehabilitationsträger nach
§ 14 SGB IX wegen an Stelle von Übergangsgeld zunächst gewährten Krankengeldzahlungen ergangenen - Urteilen des Bundessozialgerichts vom 20.10.2009, Az.
B 5 R 44/08 R, juris (
vgl. dort Rz. 35
ff.) und vom 05.02.2009, Az.
B 13 R 27/08 R, juris (
vgl. dort Rz. 19
ff.) vermag die Kammer dabei nicht zu schließen, dass für die Zeit der stufenweisen Wiedereingliederung über die hier unstreitig erbrachte Krankengeldzahlung hinaus durch die Beklagte auch Fahrtkostenerstattung an den Kläger als Mensch mit Behinderungen i.
S. der
§§ 2 Abs. 1, 42
SGB IX zu leisten sei. Denn die Leistungen der medizinischen Rehabilitation sind im Rahmen des
SGB V als dem für die Beklagte als Träger der gesetzlichen Krankenversicherung geltenden Leistungsgesetz (
vgl. § 14
SGB IX) in §§ 40 bis 43
SGB V abschließend definiert. Aus dem Wortlaut des
§ 28 SGB IX alter Fassung, jetzt unverändert in
§ 44 SGB IX übernommen, wonach die "medizinischen und die sie ergänzenden Leistungen" mit der Zielrichtung erbracht werden sollen, arbeitsunfähige Leistungsberechtigte durch eine stufenweise Wiederaufnahme ihrer Tätigkeit besser in das Erwerbsleben einzugliedern, ergibt sich für die Kammer deutlich, dass die stufenweise Wiederaufnahme der Tätigkeit selbst keine Leistung der Rehabilitationsträger darstellt. Sowenig die Erwerbstätigkeit der Leistungsberechtigten selbst eine Leistung der Rehabilitationsträger ist, sondern deren Leistungen lediglich die Erwerbstätigkeit des Rehabilitanden ermöglichen sollen, kann die stufenweise Wiederaufnahme der Erwerbstätigkeit selbst eine Leistung der Rehabilitation sein. Es handelt sich bei der stufenweisen Wiedereingliederung freilich um eine Maßnahme der medizinischen Rehabilitation (
vgl. BSG, Urteil vom 20.10.2009, Az. B 5 R 44/08 R, Rz. 36 f., juris). Die begrifflich ungenaue Gleichsetzung dieser "Maßnahme" mit einer "Leistung" des Rehabilitationsträgers, wie sie im vorgenannten Urteil des
BSG Rz. 38 ("Hauptleistung") unterläuft und auf die sich auch das Landessozialgericht Mecklenburg- Vorpommern in seinem Urteil vom 28.05.2020, Az.
L 6 KR 100/15, juris, stützt, vermag die Kammer nicht nachzuvollziehen. Die Eingliederung wird vollzogen, aber nicht geleistet, jedenfalls nicht von der Krankenkasse. Diese kann mit Leistungen - hier dem vollen Krankengeld - nur die Zielsetzung der Eingliederung unterstützen.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183 Satz 1, 193
Abs. 1
SGG und entspricht mangels abweichender Veranlassungsgesichtspunkte dem Ausgang in der Hauptsache.
4. Angesichts divergierender Rechtsprechung zu der hier streitentscheidenden Frage und noch fehlender höchstrichterlicher Klärung war wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache die Berufung zuzulassen, § 144
Abs. 1 Satz 1
Nr. 1,
Abs. 2
Nr. 1
SGG.
Hinweis:
Beim Kläger ist
GdB 20 festgestellt. Entgegen der Ausführung im Tatbestand liegt damit jedoch keine Schwerbehinderung vor, sondern eine Behinderung nach § 2
Abs. 1
SGB IX. Eine Schwerbehinderung setzt nach § 2
Abs. 2
SGB IX wenigstens
GdB 50 voraus.