Die Beteiligten streiten über die Frage, ob die Beklagte dem Kläger für die Zeit einer stufenweisen Wiedereingliederung Fahrtkosten zu erstatten hat.
Der 1961 geborene Kläger ist bei der Beklagten krankenversichert. Er ist als Verwaltungsangestellter bei der K sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Eine Schwerbehinderung ist festgestellt. In der Zeit vom 30.01.2020 bis zum 26.07.2020 war der Kläger arbeitsunfähig erkrankt. Die Beklagte gewährte in dieser Zeit Krankengeld nach den gesetzlichen Vorschriften. In der Zeit vom 15.05.2020 bis zum 26.07.2020 wurde eine stufenweise Wiedereingliederung durchgeführt. Ab dem 27.07.2020 bestand wieder Arbeitsfähigkeit. Mit Schreiben vom 26.08.2020 beantragte der Kläger bei der Beklagten eine Erstattung der ihm entstandenen Fahrtkosten für die Zeit der Wiedereingliederungsmaßnahme. Der Antrag wurde von der Beklagten mit Bescheid vom 09.12.2020 abgelehnt. Fahrtkosten könnten von den Krankenkassen nur in den gesetzlich festgelegten Ausnahmefällen und nur nach vorheriger Antragstellung übernommen werden. Eine Kostenerstattung sei nur für solche Fahrten möglich, die zu einer ärztlichen Behandlung oder einer vom Arzt verordneten Behandlung führten. Dies treffe für die Wiedereingliederung nicht zu. Mit seinem dagegen gerichteten Widerspruch vom 04.01.2021 verwies der Kläger auf folgende Urteile:
- SG Berlin, Urteil vom 29.11.2018 -
S 4 R 1970/18,
-
LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 28.05.2020 -
L 6 KR 100/15.
Darin werde ausgeführt, dass Fahrtkosten zur Wiedereingliederung auf der Grundlage des
§ 73 Abs. 1 Satz 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) zu erstatten seien. Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und zur Teilhabe am Arbeitsleben der in
§ 6 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 SGB IX genannten Rehabilitationsträger würden ergänzt durch Reisekosten. Als solche seien u.a. die erforderlichen Fahrtkosten anzusehen, die im Zusammenhang mit der Durchführung von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben stehen. Bei der stufenweisen Wiedereingliederung handele es sich um eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation im Sinne der
§§ 64, 73
SGB IX. Dies ergebe sich aus den
§§ 42 bis
48 SGB IX, die in § 42
Abs. 2
SGB IX sowohl die Leistungen zur medizinischen Rehabilitation als auch in
§ 44 SGB IX die Leistungen zur stufenweisen Wiedereingliederung regelten.
Mit Widerspruchsbescheid vom 09.06.2021 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Nach den gesetzlichen Vorgaben in
§ 60 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) seien Fahrtkosten eine Nebenleistung, die nur dann übernommen werden können, wenn sie im Zusammenhang mit einer Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung Fahrten bei Leistungen, die (teil-) stationär erbracht werden,
- Rettungsfahrten zum Krankenhaus,
- Krankentransporte, wenn ein Krankenkraftwagen benutzt wird und es während der Fahrt einer medizinisch fachlichen Betreuung bedarf,
- Fahrten zur "besonderen" ambulanten Behandlung bei an sich gebotener stationärer Krankhausbehandlung,
- Fahrten zu einer ambulanten Behandlung in besonderen Ausnahmefällen entsprechend der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (
G-BA) nach vorheriger Genehmigung der Krankenkasse
- Fahrten im Zusammenhang mit Leistungen der medizinischen Rehabilitation.
Fahrten zur stufenweisen Wiedereingliederung seien von diesem Katalog nicht umfasst. Die stufenweise Wiedereingliederung in das Erwerbsleben sei ausschließlich als betriebsbezogene Maßnahme mit rehabilitativer Zielsetzung unter Mitwirkung der ärztlichen Versorgung anzusehen und somit keine Leistung zur medizinischen Rehabilitation. Daran änderten auch die genannten Urteile nichts.
Hiergegen richtet sich die am 22.06.2021 beim Sozialgericht Koblenz eingegangene Klage.
Der Kläger ist der Auffassung, dass ihm der geltend gemachte Fahrtkostenanspruch zusteht. Die stufenweise Wiedereingliederung sei von seinem Hausarzt empfohlen worden für zunächst zwei, dann vier und später sechs Stunden pro Tag, bis ab dem 27.07.2020 wieder volle Arbeitsfähigkeit für acht Stunden pro Tag vorgelegen habe. Die Fahrt mit dem PKW sei dabei im Vergleich zur Busverbindung die günstigste Lösung gewesen. Die Rechtsprechung gehe davon, dass im Falle einer stufenweisen Wiedereingliederung Fahrtkosten von der Krankenkasse zu übernehmen seien.
Das Gericht hat die bisher veröffentlichten Entscheidungen zu dieser Frage gesichtet und den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Es handelt sich - neben den vom Kläger genannten Urteilen - insoweit um:
- SG Dresden, Urteil vom 17.06.2020 -
S 18 KR 967/19- SG Leipzig, Urteil vom 08.09.2021 -
S 22 KR 100/21- SG Leipzig, Urteil vom 09.03.2022 -
S 22 KR 570/21In der mündlichen Verhandlung am 24.04.2023 hat der Kläger sein Klagebegehren konkretisiert: Er habe während der Zeit der stufenweisen Wiedereingliederung vom 15.05.2020 bis zum 26.07.2020 den Weg von seinem Wohnsitz in N zu seiner Arbeitsstelle in S an jedem Arbeitstag (Montag bis Freitag) zurückgelegt. Die einfache Strecke betrage mit dem PKW 15
km, also pro Arbeitstag 30
km. Nach dem Bundesreisekostengesetz würden 0,20
EUR pro gefahrenem Kilometer erstattet. Vom Beginn der Wiedereingliederungsmaßnahme am Freitag, den 15.05.2020, seien dies unter Berücksichtigung aller Feiertage im Mai 2020 insgesamt 10 Arbeitstage, im Juni 2020 insgesamt 20 Arbeitstage und im Juli 2020 insgesamt 18 Arbeitstage bis zum Ende der Arbeitsunfähigkeit am Sonntag, den 26.07.2020. Streitgegenständlich sei somit ein Gesamtbetrag von 48 x 30 x 0,20
EUR = 288,00
EUR.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 09.12.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.06.2021 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm die Fahrtkosten in Höhe von 288,00
EUR zu erstatten, die im Rahmen der stufenweisen Wiedereingliederung vom 15.05.2020 bis zum 26.07.2020 entstanden sind.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie bezieht sich auf die Ausführungen in ihren Bescheiden und verweist darauf, dass sich eine Fahrtkostenerstattung zu Lasten der Krankenkasse allein aus § 60
SGB V ergeben könne. Fahrtkosten zu einer stufenweisen Wiedereingliederung seien dort nicht vorgesehen. Selbst wenn dies über § 60
Abs. 5
SGB V der Fall sein sollte, so fehle es am Beschaffungsweg nach § 60
Abs. 1 Satz 4
SGB V. Dieser sei vom Kläger jedenfalls nicht eingehalten worden, weil er die Fahrtkosten erst nach Abschluss der Maßnahme beantragt habe.
Im Übrigen wird zur Ergänzung des Tatbestandes Bezug genommen auf den Inhalt der vorliegenden Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten. Die darin enthaltenen Feststellungen sowie das Vorbringen der Beteiligten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung.
Die zulässige Klage ist nicht begründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 09.12.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.06.2021 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Dem Kläger steht kein Anspruch auf Kostenerstattung für die im Rahmen der stufenweisen Wiedereingliederung zu seiner Arbeitsstelle unternommenen Fahrten zu.
Randnummer28
1. Der Anspruch ergibt sich nicht aus § 60
SGB V. Gemäß § 60
Abs. 1 Satz 1
SGB V übernimmt die Krankasse "nach den Absätzen 2 und 3 die Kosten für Fahrten (...), wenn sie im Zusammenhang mit einer Leistung der Krankenkasse aus zwingenden medizinischen Gründen notwendig sind". Dabei verweist § 60
Abs. 3
Nr. 4
SGB V für die Berechnung der Fahrtkosten bei Benutzung eines privaten Kraftfahrzeugs auf den jeweils auf Grund des Bundesreisekostengesetzes festgesetzten Höchstbetrag für Wegstreckenentschädigungen (= 0,20
EUR pro gefahrenem Kilometer). Die in § 60
Abs. 2
SGB V genannten Fälle
Nr. 1 bis 4 (Fahrten zu teil-/stationär erbrachten Leistungen, Rettungsfahrten zum Krankenhaus, Krankentransportfahrten, Krankenhausvermeidungsfahrten zur ambulanten Behandlung) liegen hier offensichtlich nicht vor. Die stufenweise Wiedereingliederung stellt weder eine (teil-) stationär erbrachte Leistung noch eine Krankenbehandlung dar.
Fahrtkosten zur einer stufenweisen Wiedereingliederung können auch nicht über § 60
Abs. 5
SGB V beansprucht werden. § 60
Abs. 5
SGB V bestimmt, dass "im Zusammenhang mit Leistungen zur medizinischen Rehabilitation Reisekosten nach § 73
Abs. 1 und 3 des
SGB IX übernommen werden". Es handelt sich um einen Rechtsfolgenverweis. Bei der stufenweisen Wiedereingliederung handelt es sich jedoch nicht um eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation. Bei einer stufenweisen Wiedereingliederung treffen der Arbeitgeber und der (arbeitsunfähige) Arbeitnehmer eine Vereinbarung, indem beide Vertragsparteien ihr Einverständnis mit der vom behandelnden Arzt ausgesprochen Empfehlung erklären (Wiedereingliederungsplan). Die Wiedereingliederung erfolgt - anders als die Belastungserprobung nach § 42
SGB V - ohne ärztliche Aufsicht oder Verordnung. Der Versicherte geht seiner bisherigen Tätigkeit nach, allerdings in eingeschränktem Umfang, da er noch nicht voll belastbar ist. Da weiterhin Arbeitsunfähigkeit für den Gesamtumfang der bisherigen Tätigkeit besteht, erhält der Versicherte in dieser Zeit von der Krankenkasse weiterhin Krankengeld nach den gesetzlichen Vorschriften (hier: über
§§ 5 Abs. 1 Nr. 1, 46
SGB V). Weitere Leistungen werden von der Krankenkasse in dieser Zeit nicht gewährt.
Insbesondere werden in dieser Zeit von der Krankenkasse keine "Leistungen zur medizinischen Rehabilitation" erbracht. Gemäß
§ 11 SGB V (Leistungsarten) haben Versicherte gegenüber ihrer Krankenkasse "Anspruch auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation sowie auf unterhaltssichernde und andere ergänzende Leistungen, die notwendig sind, um eine Behinderung oder Pflegebedürftigkeit abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, auszugleichen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mildern" (§ 11
Abs. 2 Satz 1
SGB V). Im fünften Abschnitt des
SGB V (Leistungen bei Krankheit) sind dazu unter den
§§ 40 bis
43 SGB V die entsprechenden Leistungen aufgeführt: Leistungen zur ambulanten und stationären medizinischen Rehabilitation (
§ 40 SGB V), Leistungen zur medizinischen Rehabilitation für Mütter und Väter (
§ 41 SGB V), Belastungserprobung und Arbeitstherapie (§ 42
SGB V) sowie ergänzende Leistungen zur Rehabilitation (§ 43
SGB V). Die stufenweise Wiedereingliederung ist in diesen Vorschriften zum Leistungsrecht nicht genannt. Soweit § 43
Nr. 1
SGB V der Krankenkasse die Möglichkeit einräumt, "solche Leistungen zur Rehabilitation ganz oder teilweise zu erbringen oder zu fördern, die unter Berücksichtigung von Art oder Schwere der Behinderung erforderlich sind, um das Ziel der Rehabilitation zu erreichen oder zu sichern, aber nicht zu den Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben oder den Leistungen zur allgemeinen sozialen Eingliederung gehören", so ist damit nicht die stufenweise Wiedereingliederung gemeint. Als Auffangnorm hat § 43
Abs. 1
Nr. 1
SGB V lediglich den Zweck, bei Bedarf für alle im Einzelfall zur Erreichung des Rehabilitationszieles erforderlichen ergänzenden Leistungen eine Rechtsgrundlage zu schaffen, die nicht schon anderweitig gesetzlich geregelt sind. In Betracht kommen dabei nur medizinische Leistungen, bei denen die Krankheitsbekämpfung im Vordergrund steht (
vgl. dazu Waßer in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Auflage, Stand: 03.01.2022, § 43
SGB V, Rn. 36 mit Verweis auf
LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 19.09.2006 - L 1 KR 65/04 = juris).
Bei einer Wiedereingliederungsmaßnahme handelt es sich nicht um eine Leistung der Krankenkasse, sondern lediglich um eine Maßnahme im Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Versichertem. Arbeitsrechtlich wird die stufenweise Wiedereingliederung als "ein Rehabilitationsmodell mit therapeutischen Zielen" gewertet, dessen Grundlage ein Rechtsverhältnis sui generis nach § 311
BGB (das Wiedereingliederungsverhältnis) ist. In diesem Verhältnis ist weder der Arbeitgeber verpflichtet, eine Tätigkeit des Versicherten als teilweise Arbeitsleistung entgegenzunehmen, noch der Arbeitnehmer gehalten, eine vom Arbeitgeber bestimmte Tätigkeit auszuführen (
vgl. dazu Matthäus in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Auflage, Stand: 20.07.2021,
§ 74 SGB V, Rn. 18 mit Verweis auf die höchstrichterliche Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und des Bundessozialgerichts). Die Krankenkasse gewährt dabei, abgesehen von der durch die fortbestehende Arbeitsunfähigkeit bedingten Krankengeldzahlung, gerade keine eigene Leistung. Entsprechend finden sich Ausführungen zur stufenweisen Wiedereingliederung im
SGB V auch nicht im dritten Kapitel (= Leistungen der Krankenversicherung), sondern im vierten Kapitel (= Beziehungen der Krankassen zu den Leistungserbringern). Dort führt § 74
SGB V aus: "Können arbeitsunfähige Versicherte nach ärztlicher Feststellung ihre bisherige Tätigkeit teilweise verrichten und können sie durch eine stufenweise Wiederaufnahme ihrer Tätigkeit voraussichtlich besser wieder in das Erwerbsleben eingegliedert werden, soll der Arzt auf der Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit Art und Umfang der möglichen Tätigkeiten angeben und dabei in geeigneten Fällen die Stellungnahme des Betriebsarztes oder mit Zustimmung der Krankenkasse die Stellungnahme des Medizinischen Dienstes einholen.". Dies betrifft lediglich das Verfahren, wie es in der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie umgesetzt ist, mit den darin enthaltenen Beteiligungspflichten des Vertragsarztes. Eine Leistung der Krankenkasse ist in § 74
SGB V nicht geregelt (so insgesamt zutreffend SG Leipzig, Urteil vom 09.03.2022 -
S 22 KR 570/21 = juris, Rn. 15, sowie SG Leipzig, Urteil vom 08.09.2021 -
S 22 KR 100/21 = juris, Rn. 16).
2. Ein Anspruch auf Fahrtkostenerstattung ergibt sich für den Kläger auch nicht aus § 73
SGB IX. Gemäß § 73
Abs. 1 Satz 1
SGB IX werden als Reisekosten die erforderlichen Fahr-, Verpflegungs- und Übernachtungskosten übernommen, die im Zusammenhang mit der Ausführung einer Leistung zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben stehen. Die Höhe der zu erstattenden Kosten richtet sich bei der Benutzung eines PKW nach den Vorschriften des Bundesreisekostengesetzes (§ 73
Abs. 4 Satz 1
SGB IX).
Der Kläger verweist mit seinem Begehren auf Urteile anderer Sozialgerichte, die für Fahrten im Rahmen einer stufenweisen Wiedereingliederung § 73
SGB IX als Anspruchsgrundlage heranziehen und einen Kostenerstattungsanspruch bejahen. So hat das SG Berlin in einem Urteil vom 29.11.2918 (Az.
S 4 R 1970/18 = juris) für den Fall, dass der Versicherte aus einer Maßnahme zur stationären medizinischen Rehabilitation arbeitsunfähig entlassen wurde, Fahrtkostenerstattung für eine stufenweise Wiedereingliederung gewährt, die
ca. einen Monat später durchgeführt wurde und während der der Versicherte weiterhin Übergangsgeld bezog. Das SG Berlin sieht hier die Rentenversicherung nach §§ 73
Abs. 1 Satz 1, 64
Abs. 1
Nr. 5
SGB IX in der Pflicht, da es sich bei der Maßnahme zur stufenweise Wiedereingliederung um eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation handele. Es entspreche der gesetzlichen Systematik, die in § 44
SGB IX geregelte stufenweise Wiedereingliederung zu den in § 42
Abs. 2
SGB IX genannten eigentlichen Leistungen zur medizinischen Rehabilitation zu zählen, da § 42
Abs. 2
SGB IX bereits nach seinem Wortlaut ("insbesondere") keine abschließende Regelung sei, sondern lediglich den Kernbereich der medizinischen Rehabilitation benenne. Kapitel 9 des
SGB IX führe den Titel "Leistungen zur medizinischen Rehabilitation", umfasse die §§ 42 bis 48 und damit auch § 44
SGB IX. Über § 64
Abs. 1
Nr. 5
SGB IX würden die Leistungen zur medizinischen Rehabilitation u.a. durch den Anspruch auf Reisekosten nach § 73
SGB IX ergänzt. Das SG Berlin beruft sich dabei auch auf die Ausführungen des SG Neuruppin in seinem Urteil vom 26.01.2017 (Az.
S 22 R 127/14 = juris), das das Bundessozialgericht aus seinem Urteil vom 29.01.2008 (Az.
B 5a/5 R 26/07 R = juris) wie folgt zitiert: Die Leistung zur stufenweisen Wiedereingliederung gehöre zum Katalog der medizinischen Rehabilitationsleistungen, die in den § 44
ff. SGB IX geregelt seien. Sie dienten - ebenso wie eine stationäre Rehabilitationsleistung - dazu, die krankheitsbedingte Gefährdung der Erwerbsfähigkeit zu überwinden, damit der Versicherte an seinen alten Arbeitsplatz zurückkehren könne. Sie stelle die "zweite Phase der Rehabilitation" dar. Die stufenweise Wiedereingliederung im unmittelbaren Anschluss an eine stationäre Rehabilitation stehe mit dieser wegen der gemeinsamen Zielsetzung in einem so engen Zusammenhang, dass letztlich beide als einheitliche Rehabilitationsmaßnahme anzusehen seien, die mit der stationären Aufnahme in der Rehabilitationseinrichtung beginne und im günstigsten Fall mit der vollen Rückkehr des Versicherten an seinen Arbeitsplatz ende (SG Berlin, Urteil vom 29.11.2018 - S 4 R 1970/18 = juris, Rn. 23).
In gleicher Weise nimmt das
LSG Mecklenburg-Vorpommern in seinem Urteil vom 28.05.2020 (Az. L 6 KR 100/15 = juris) einen Anspruch auf Fahrtkostenerstattung während einer stufenweisen Wiedereingliederung an. Bei der stufenweisen Wiedereingliederung handele es sich nicht um eine Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben, sondern um eine Leistung der medizinischen Rehabilitation. Die stufenweise Wiedereingliederung sei dabei keine leistungsrechtliche Maßnahme des Trägers im engeren Sinne, sondern als ein der ärztlichen Verordnung folgendes Handlungsmodell ausgestaltet, das angesichts mehrgliedriger Rechtsverhältnisse ein gemeinsames Zusammenwirken der Beteiligten voraussetze. Auch wenn die stufenweise Wiedereingliederung keine (Sach-) Leistung des Trägers darstelle, ändere dies nichts an ihrem Charakter als medizinische Rehabilitationsmaßnahme. Die Leistung des Rehabilitationsträgers gegenüber dem Versicherten bestehe in der sozialen Absicherung durch eine Entgeltersatzleistung (
vgl. LSG Mecklenburg-Vorpommern, a.a.O. = juris, Rn. 36).
Auch das SG Dresden sieht in seinem Urteil vom 17.06.2020 (Az. S 18 KR 967/19 = juris) einen Fahrtkostenanspruch gemäß § 73
SGB IX für die Zeit die stufenweise Wiedereingliederung als gegeben. Die stufenweise Wiedereingliederung sei zwar grundsätzlich zunächst ein Vertragsverhältnis eigener Art zwischen dem noch arbeitsunfähigen Versicherten und dem Arbeitgeber, bei dem das rehabilitative Ziel darin bestehe, langfristig erkrankte Versicherte wieder nachhaltig in das Berufsleben einzugliedern. Trotz der "betrieblichen Durchführung" sei die stufenweise Wiedereingliederung wegen ihres vorrangig therapeutischen Zwecks aber den Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation zuzuordnen (
vgl. SG Dresden, a.a.O. = juris, Rn. 16). Zwar werde für den Anspruch gegen die Krankenkasse die stufenweise Wiedereingliederung im Fünften Abschnitt des
SGB V unter der Überschrift "Leistungen bei Krankheit" nicht ausdrücklich genannt. Die grundsätzliche Qualifikation als Maßnahme der medizinischen Rehabilitation schließe es jedoch aus, die stufenweise Wiedereingliederung lediglich den in § 43
SGB V genannten nur ergänzenden Leistungen zuzuordnen. Es handele sich vielmehr um eine Hauptleistung der medizinischen Rehabilitation, auf die auch § 73
SGB IX Anwendung finde.
Diesen Auffassungen kann zur Überzeugung der Kammer nicht gefolgt werden. Unabhängig davon, dass der stufenweisen Wiedereingliederung des Klägers hier keine nahtlose stationäre medizinische Rehabilitationsmaßnahme vorausging, sondern lediglich Krankengeld auf eine festgestellte Arbeitsunfähigkeit hin gezahlt wurde, sind die in den aufgeführten Urteilen genannten rechtlichen Erwägungen nicht haltbar. Sie finden insbesondere keine Stütze im Gesetzestext. Auch wenn das
BSG in seinem Urteil vom 20.10.2009 (Az.
B 5 R 44/08 R = juris) darauf hinweist, dass Leistungen zur medizinischen Rehabilitation nach § 42
Abs. 2
SGB IX nur "insbesondere" die dort genannten Leistungen umfassen und die stufenweise Wiedereingliederung deshalb als eigenständige Hauptleistung bei der Gewährung von Übergangsgeld durch die Rentenversicherung angesehen werden könne, sind die Voraussetzungen des § 73
SGB IX für den vorliegenden Fall nicht gegeben.
Entscheidend ist, dass es sich bei der stufenweisen Wiedereingliederung nicht um eine medizinische Leistung handelt. Weder der Rentenversicherungsträger im Falle der Übergangsgeldgewährung noch die Krankenkasse im Falle der Krankengeldzahlung erbringen während und auch nicht im Rahmen der stufenweisen Wiedereingliederung eine medizinische Leistung. Die stufenweise Wiedereingliederung - anders als die Belastungserprobung nach § 42
SGB V - erfolgt weder unter ärztlicher Aufsicht noch werden am Arbeitsplatz ärztliche Behandlungsmaßnahmen durchgeführt. Mag auch die stufenweise Wiedereingliederung der Zielsetzung dienen, die Rehabilitationsmaßnahmen der Versicherungsträger in ihrem Erfolg zu unterstützen, so handelt es sich doch nicht um eine eigenständige medizinische Leistung der Krankenkasse. Die Krankenkasse ist in der Zeit des zwischen dem Arbeitgeber und dem (noch arbeitsunfähigen) Arbeitnehmer vereinbarten Wiedereingliederungsverhältnisses lediglich dazu verpflichtet, eine teilweise Beschäftigung dadurch zu ermöglichen, indem sie weiterhin Krankengeld als Entgeltersatzleistung gewährt, solange noch keine vollumfängliche Arbeitsfähigkeit des Versicherten besteht (so auch SG Leipzig, Urteil vom 09.03.2022 - S 22 KR 570/21 = juris, Rn. 16). § 73
SGB IX kann deshalb im Rahmend der stufenweisen Wiedereingliederung keine Anwendung finden.
3. Für Krankenkassen sind darüber hinaus die Vorschriften des
SGB V vorrangig. Gemäß § 11
Abs. 2 Satz 1
SGB V haben Versicherte gegen ihre Krankenkasse zwar Anspruch auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation sowie auf unterhaltssichernde und andere ergänzende Leistungen, die notwendig sind, um eine Behinderung oder Pflegebedürftigkeit abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, auszugleichen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mildern. Diese Leistungen werden jedoch nur "unter Beachtung" des Neunten Buches erbracht, also nur soweit in den Vorschriften des
SGB V nichts anderes bestimmt ist (§ 11
Abs. 2 Satz 4
SGB V). Die ist im Hinblick auf Ansprüche auf Fahrtkostenerstattung allerdings mit § 60
SGB V der Fall. Dass danach kein Anspruch auf Kostenerstattung für Fahrten zur stufenweisen Wiedereingliederung am Arbeitsplatz besteht, wurde bereits oben ausgeführt.
4. Andere Anspruchsgrundlagen kann das Gericht nicht erkennen. Sie wurden auch nicht vorgetragen. Die Klage war daher abzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193
SGG. Sie entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits. Die Berufungsfähigkeit nach § 144
SGG ist nicht gegeben. Mit dem geltend gemachten Anspruch ist der Mindeststreitwert von 750,00
EUR gemäß § 144
Abs. 1 Satz
Nr. 1
SGG nicht erreicht. Im Hinblick auf die abweichende Rechtsprechung anderer Sozialgerichte und das Fehlen einer höchstrichterlichen Klärung bisher hat die Kammer die Berufung dennoch wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache nach § 144
Abs. 2
Nr. 1
SGG zugelassen.