Urteil
Anspruch auf Fahrtkostenerstattung im Wiedereingliederungsverhältnis

Gericht:

LAG Köln 13. Kammer


Aktenzeichen:

13 Sa 756/97


Urteil vom:

09.12.1997


Grundlage:

  • BGB § 670 |
  • TVG § 1 |
  • BGB § 305 |
  • BauRTV § 7 |
  • SGB V § 74

Leitsatz:

1. Wird der arbeitsunfähig erkrankte Arbeitnehmer im Wiedereingliederungsverhältnis (§ 74 SGB V) (juris: SGB 5) auf einer auswärtigen Baustelle des Arbeitgebers zum Zwecke eines Arbeitsversuchs tätig, so erlangt er gegen den Arbeitgeber keinen Anspruch auf Erstattung der Fahrkosten gem § 7 Ziff 3.1 BRTV Bau (juris: BauRTV). Ein solcher Anspruch ergibt sich ebensowenig aus § 670 BGB.

Orientierungssatz:

1. Revision eingelegt unter dem Aktenzeichen 4 AZR 192/98.

Rechtsweg:

ArbG Köln, Urteil vom 15.04.1997 - 8 Ca 11397/96
BAG, Urteil vom 28.07.1999 - 4 AZR 192/98

Quelle:

JURIS-GmbH

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das am 15.04.97 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts Köln, Aktenzeichen 8 Ca 11397/96, wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um eine Forderung des Klägers auf Fahrtkostenersatz für die Dauer eines Wiedereingliederungsversuchs.

Der im Jahre 1939 geborene Kläger ist seit dem Februar 1970 als Zimmermann zu einer Vergütung von 24,94 DM pro Stunde bei der Beklagten beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis finden die Tarifverträge für die gewerblichen Arbeitnehmer des Bauhauptgewerbes kraft beiderseitiger Tarifbindung Anwendung.

Seit dem 14.08.1995 ist der Kläger durchgehend arbeitsunfähig erkrankt. In Abstimmung mit der Krankenkasse des Klägers wurde in der Zeit vom 01.07.96 bis 05.07.96 eine Wiedereingliederungsmaßnahme durchgeführt, wobei der Kläger in dem ärztlich empfohlenen Umfang von 4 Stunden täglich auf einer Baustelle in L. tätig wurde. Diese liegt 73 km von der Wohnung des Klägers entfernt; die Strecke legte der Kläger mit eigenem Kraftfahrzeug zurück.

Mit Schreiben vom 12.07.1996 (Kopie Bl. 54 d.A.) teilte die Beklagte der Krankenkasse des Klägers mit, daß der Kläger von ihr kein Arbeitsentgelt für die Zeit der stufenweisen Wiederaufnahme seiner Tätigkeit erhalte. Der Kläger bezog während dieser Zeit Krankengeld; eine Fahrtkostenabgeltung durch die Krankenkasse erfolgte nicht.

Mit Schreiben vom 02.09.1996 (Kopie Bl. 3 d.A.) machte der Kläger gegenüber der Beklagten Fahrtkostenabgeltung in der rechnerisch unstreitigen Höhe von 125,-- DM geltend und erhob mit Eingang am 04.11.1996 Klage hierauf bei dem Arbeitsgericht Aachen, welches den Rechtsstreit an das örtlich zuständige Arbeitsgericht Köln verwiesen hat.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 125,-- DM netto nebst 4 % Zinsen seit Klageerhebung zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht hat durch Urteil vom 15.04.1997 die Klage abgewiesen und die Berufung zugelassen. Es hat argumentiert, Voraussetzung des Anspruchs sei, daß die Aufwendungen bei und wegen der Ableistung der vertraglich geschuldeten Tätigkeit entstanden seien. Dies sei bei einem Arbeitsversuch während fortbestehender Arbeitsunfähigkeit nicht der Fall. Hierbei handele es sich um ein Rechtsverhältnis eigener Art. Der Kläger habe nur einen freiwilligen Arbeitsversuch unternommen und sei für die Arbeitgeberin nicht einplanbar gewesen, weil diese das Direktionsrecht nicht habe ausüben können. Auch seien die Aufwendungen im Vergleich zur entsprechenden Tätigkeit im Rahmen eines normalen Arbeitsverhältnisses überproportional hoch. Der Mehraufwand liege aber ausschließlich im Interesse des arbeitserprobenden Arbeitsunfähigen.

Der Kläger hat gegen dieses ihm am 20.05.1997 zugestellte Urteil am 20.06.1997 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 20.08.1997 mit am selben Tage eingegangenem Schriftsatz begründet.

Der Kläger hält das arbeitsgerichtliche Urteil für unzutreffend, weil im Wiedereingliederungsverhältnis kein tarifloser Zustand bestehe. Der Kläger habe eine versicherungspflichtige Tätigkeit gem. § 1 III BRTV Bau ausgeübt, und zwar habe er auch gearbeitet. Der Zweck der Arbeitsleistung sei unerheblich; auch wenn er der Rehabilitation diene, sei dies unschädlich. Zwar ruhten die Hauptpflichten, jedoch die Nebenpflichten bestünden, soweit mit dem Zweck der Wiedereingliederung vereinbar. Zu diesen Nebenpflichten aber gehöre auch die Fahrtkostenabgeltung.

Auch sei keine Abänderung des ursprünglichen Arbeitsvertrages für die Zeit der Wiedereingliederungsmaßnahme getroffen worden; eine solche wäre wegen der zwingenden Wirkung gem. § 4 I TVG allerdings auch unwirksam.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 15.04.1997, 8 Ca 11397/96, abzuändern und nach dem Schlußantrag des Klägers in erster Instanz zu entscheiden.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verweist auf die für zutreffend gehaltenen Gründe des erstinstanzlichen Urteils und beruft sich darauf, der Kläger sei gerade nicht von ihr auf eine auswärtige Baustelle entsandt oder beordert worden. Der Arbeitsversuch habe im eigenen Interesse des Klägers gelegen. Dem habe die Beklagte lediglich zugestimmt mit der Einschränkung, daß kein Arbeitsentgelt gezahlt werde. Sie habe dem Kläger freigestellt, den Erprobungsversuch zu unternehmen.

Wegen der weiteren Einzelheiten haben die Parteien auf die im Rechtsstreit gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I. Die Berufung des Klägers ist zwar zulässig, weil sie aufgrund ausdrücklicher Zulassung statthaft (§§ 64 I, II ArbGG) sowie frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden ist (§§ 66 I S. 1, 64 VI S. 1 ArbGG, 518, 519 ZPO).

In der Sache ist das Rechtsmittel jedoch unbegründet. Für den erhobenen Anspruch besteht weder eine arbeitsvertragliche Grundlage - eine arbeitsvertragliche Erstattungsvereinbarung getroffen zu haben behauptet der Kläger selbst nicht - noch eine solche auf Grundlage des Bundesrahmentarifvertrages Bau oder des Gesetzes.

a) Zwar trifft zu, daß § 7 BRTV Bau in Ziffer 3.1 eine Fahrtkostenabgeltung bei Bau- oder Arbeitsstellen mit täglicher Heimfahrt vorsieht, wenn der Arbeitnehmer auf einer mindestens 6 km von seiner Wohnung entfernten Bau- oder Arbeitsstelle außerhalb des Betriebes arbeitet und ihm kein Auslösungsanspruch zusteht, wobei die Fahrtkostenabgeltung bei Benutzung eines Kraftfahrzeuges durch ein Kilometergeld erfolgt. Diese tarifliche Regelung ist jedoch im Wiedereingliederungsverhältnis gem. § 74 SGB V nicht anwendbar. Dies ergibt sich aus der besonderen Rechtsnatur des Wiedereingliederungsverhältnisses.

aa) Das Bundesarbeitsgericht hat sich bislang in zwei veröffentlichten Entscheidungen mit der Beschäftigung des Arbeitnehmers gem. § 74 SGB V zur Wiedereingliederung befaßt und dabei angenommen, das zu diesem Zweck begründete Rechtsverhältnis sei ein solches eigener Art i.S.v. § 305 BGB, weil es nicht auf eine Arbeitsleistung im üblichen Sinne gerichtet sei, sondern als Maßnahme der Rehabilitation es dem Arbeitnehmer ermöglichen solle, die Arbeitsfähigkeit wieder herzustellen. Ohne ausdrückliche Zusage stehe dem Arbeitnehmer weder aus dem Wiedereingliederungsverhältnis noch aus Gesetz ein Vergütungsanspruch zu (BAG v. 29.01.1992, 5 AZR 37/91, AP Nr. 1 zu § 74 SGB V). Werde während der fortbestehenden Arbeitsunfähigkeit auf Veranlassung des Arztes die Tätigkeit teilweise zum Zwecke der Wiedereingliederung in das Erwerbsleben wieder aufgenommen, so ruhten während dieser Zeit im allgemeinen die vertraglichen Hauptleistungspflichten, so daß auch der Urlaubsanspruch nicht erfüllbar sei (BAG v. 19.04.1994, 9 AZR 462/92, AP Nr. 2 zu § 74 SGB V).

bb) Entsprechendes gilt für die tariflichen Regelungen des BRTV Bau. Diese regeln insgesamt die Begründung, Durchführung und Beendigung des Arbeitsverhältnisses der tarifunterworfenen Parteien. Die in § 7 BRTV Bau enthaltene Bestimmung über die Fahrtkostenabgeltung betrifft demnach allein die Abwicklung des Arbeitsverhältnisses und kann nicht, auch nicht analog, auf das zwischen den Parteien geführte Wiedereingliederungsverhältnis angewendet werden.

Dies ergibt sich auch aus der Fassung der Tarifnorm selbst:

Diese tarifliche Erstattungsvorschrift setzt nach dem Verständnis der Kammer einen Arbeitseinsatz durch den Arbeitgeber aufgrund des Arbeitsverhältnisses voraus, welches zwar ruhend fortbesteht, aber wegen der bestehenden Arbeitsunfähigkeit arbeitgeberseitige Weisungen nur teilweise zuläßt. So geht § 7 Nr. 1 BRTV Bau davon aus, daß der Arbeitnehmer auf allen Bau- oder sonstigen Arbeitsstellen des Betriebes "eingesetzt werden" kann. Daran fehlt es jedoch im Wiedereingliederungsverhältnis.

Der Kläger ist auch als vermindert Arbeitsfähiger arbeitsunfähig krank i.S.d. Entgeltfortzahlungsrechts, weil er seine vertraglich geschuldete Arbeitsleistung nicht voll erfüllen kann (LAG Rheinland-Pfalz v. 04.11.91, 7 Sa 421/91, NZA 92, 169; BAG v. 29.01.92, a.a.O., unter II 1 der Gründe, m.w.N.). § 74 SGB V hat den Begriff der Arbeitsunfähigkeit nicht anders geregelt. Das Wiedereingliederungsverhältnis kann deshalb auch nicht als die Fortführung des bestehenden Arbeitsverhältnisses begriffen werden (wie Glaubitz, NZA 92, 402 annimmt). Zwar übt der Arbeitnehmer beim Arbeitsversuch die "bisherige Tätigkeit" (so § 74 SGB V) aus, dies aber aufgrund eines besonderen Rechtsverhältnisses, welches zu begründen den Parteien in jeder Hinsicht freigestellt war. Es handelt sich auch nicht um eine Modifikation des ursprünglichen Arbeitsverhältnisses (so auch Compensis, NZA 92, 631, 633).

Aus dem vom Rehabilitationszweck beherrschten Wiedereingliederungsverhältnis schuldet der Arbeitnehmer bereits keine Arbeitsleistung. Dementsprechend hat der Arbeitgeber keinen durchsetzbaren Anspruch auf die Tätigkeit des Arbeitsunfähigen. Er ist auch nicht zu Weisungen bezüglich des Beschäftigungsumfanges befugt, die außerhalb der Wiedereingliederungsvereinbarung liegen (v. Hoyningen-Huene, Das Rechtsverhältnis zur stufenweisen Wiedereingliederung arbeitsunfähiger Arbeitnehmer, NZA 92, 49, 52). Dem Arbeitnehmer wird nur Gelegenheit gegeben zu erproben, ob er auf dem Wege einer im Verhältnis zur vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung quantitativ oder/und qualitativ verringerten Tätigkeit zur Wiederherstellung seiner Arbeitsfähigkeit gelangen kann (BAG v. 29.01.92, a.a.O., unter II 3 der Gründe). Der Arbeitgeber kann den Wiedereinzugliedernden deshalb auch nicht zur Arbeitsleistung anweisen; er weist ihm deshalb auch keine Einsatzstelle zu, sondern bietet ihm allein auf seinen Wunsch und in seinem eigenen Interesse die Möglichkeit, eine stufenweise Wiedereingliederung zu versuchen. Indem der Arbeitgeber zu diesem Zweck eine Bau- oder Arbeitsstelle benennt, auf der der arbeitsunfähig erkrankte Arbeitnehmer den Arbeitsversuch unternehmen kann, übt er nicht sein Weisungsrecht aus dem Arbeitsverhältnis i.S.v. § 7 Nr. 1 des BRTV Bau aus.

cc) Zwar bestehen im Wiedereingliederungsverhältnis, ebenso wie anderweit in einem ruhenden Arbeitsverhältnis, Nebenpflichten, die sich als fortwirkende Ausstrahlung des in seinen Hauptpflichten ruhenden Arbeitsverhältnisses ergeben, soweit sie mit dem Zweck der Wiedereingliederungsmaßnahme vereinbar sind, wie Weisungsrecht, Fürsorgepflicht des Arbeitgebers und Treuepflichten (BAG v. 29.01.92, 5 AZR 37/91, a.a.O., unter II 3 der Gründe). Für den vom Kläger erhobenen Anspruch auf Fahrtkostenerstattung hat dies jedoch keine Auswirkungen, wie vorstehend bereits aufgezeigt.

b) Der Erstattungsanspruch des Klägers folgt auch nicht aus Auftragsrecht, §§ 662 ff BGB.

Zwar gewährt § 670 BGB dem Beauftragten als Ausgleich für seine Tätigkeit im Interesse des Auftraggebers einen Anspruch auf Aufwendungsersatz, welcher nicht nur in den Fällen der Auftragserteilung zum Tragen kommt, sondern darüber hinaus als so selbstverständlich und von der Sache her so notwendig gilt, daß er auch ohne gesetzliche Anordnung in vergleichbaren Interessenlagen anzuwenden ist (MünchKomm, SchuldR Besonderer Teil II, Seiler, 3. Aufl., § 670 BGB, Rdnr. 3).

Auch die Anwendung dessen ist jedoch - vorbehaltlich einer anderweitigen Vereinbarung der Parteien - im Wiedereingliederungsverhältnis nach § 74 SGB V nicht möglich.

Folgt man der aufgezeigten herrschenden Meinung, daß das Wiedereingliederungsverhältnis ein Rechtsverhältnis eigener Art ist, bei welchem es sich um eine therapeutische Maßnahme handelt (zustimmend auch Gitter/Boerner, Anm. zu BAG AP Nr. 2 zu § 74 SGB V), welches selbständig neben den fortbestehenden Arbeitsvertrag tritt, so fehlt es jedenfalls an dem Erfordernis eines Aufwendungsersatzanspruches, daß der Kläger seine Tätigkeit während des Wiedereingliederungsversuchs im Interesse der Beklagten hätte erbracht haben müssen. Im Falle der auch hier gegebenen Unentgeltlichkeit des Wiedereingliederungsverhältnisses - die Beklagte hatte die Zahlung einer Vergütung abgelehnt - liegt kein Auftrag i.S. der §§ 662 ff BGB vor, weil kein Geschäft für den Arbeitgeber besorgt wird (v. Hoyningen-Huene, a.a.O., S. 52).

2. Da der Kläger das Rechtsmittel ohne Erfolg eingelegt hat, muß er nach §§ 64 VI S. 1 ArbGG, 97 ZPO die Kosten der Berufung tragen.

Die Revision war für den Kläger gem. § 72 I ArbGG zuzulassen. Zwar hat das Bundesarbeitsgericht sich in den angezogenen Entscheidungen mit dem Wiedereingliederungsverhältnis hinsichtlich Entgeltanspruch und Urlaubsanspruch bereits auseinandergesetzt, nicht jedoch mit einem Anspruch der vorliegend streitbefangenen Art, so daß der Streitsache grundsätzliche Bedeutung zukommt.

Referenznummer:

KARE519610339


Informationsstand: 05.10.1998