Urteil
Erstattung von Fahrkosten für den Weg zum Arbeitsplatz für die Zeit der stufenweisen Wiedereingliederung

Gericht:

SG Kiel 3. Kammer


Aktenzeichen:

S 3 KR 201/15


Urteil vom:

04.11.2016


Grundlage:

Tenor:

1. Der Bescheid der Beklagten vom 12. Dezember 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Juli 2015 wird aufgehoben.
Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin die während der stufenlosen Wiedereingliederung im Zeitraum 2. Dezember 2014 bis zum 26. Januar 2015 entstandenen Fahrkosten in Höhe von 1.369,60 Euro zu erstatten.

2. Die Beklagte hat der Klägerin ihre außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Erstattung von Fahrkosten für den Weg zum Arbeitsplatz für die Zeit der stufenlosen Wiedereingliederung.

Die Klägerin ist bei der Beklagten krankenversichert. Sie ist in ... im Kreis Plön wohnhaft. Beschäftigt ist sie ... in Hamburg. Die einfache Entfernung zwischen Wohnort und Arbeitsstätte beträgt ... km.

Nach einer längeren Arbeitsunfähigkeit und einer Maßnahme zur medizinischen Rehabilitation führte die Klägerin im Zeitraum 02. Dezember 2014 bis 26. Januar 2015 eine stufenweise Wiedereingliederung durch. Während dieser Zeit legte die Klägerin die Strecke von ihrer Wohnung zum Arbeitsplatz mit dem eigenen Pkw zurück. Kostenträgerin der Wiedereingliederungsmaßnahme war die Beklagte.

Mit am 09. Dezember 2014 bei der Beklagten eingegangenem Schreiben beantragte die Klägerin die Gewährung eines Fahrkostenzuschusses während der Wiedereingliederungsmaßnahme. Sie sei auf den Zuschuss angewiesen, da sie aufgrund der langjährigen Erkrankung in finanzielle Schwierigkeiten geraten sei.

Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 12. Dezember 2014 mit der Begründung ab, Fahrkosten könnten grundsätzlich nur für Fahrten zur ambulanten oder stationären Behandlung erbracht werden.

Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin am 14. Januar 2015 Widerspruch. Zur Begründung machte sie geltend, nach § 44 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. § 53 SGB IX sei die Beklagte verpflichtet, ihr einen Fahrtkostenzuschuss als ergänzende Leistung zu gewähren.

Mit Widerspruchsbescheid vom 15. Juli 2015 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Nach dem Leistungsrecht des SGB V stehe der Klägerin ein Anspruch auf Fahrkostenübernahme nicht zu. Die Voraussetzungen der soweit maßgeblichen Rechtsvorschriften der §§ 60, 92 Abs. 1 SGB V und § 8 Krankentransportrichtlinien seien nicht erfüllt.

Daraufhin hat die Klägerin am 18. August 2015 Klage beim Sozialgericht Kiel erhoben. Sie ist der Auffassung, bei der stufenweisen Wiedereingliederung handele es sich um eine Leistung der medizinischen Rehabilitation, für die grundsätzlich eine Fahrkostenerstattung in entsprechender Anwendung des Bundesreisekostengesetzes in Betracht komme.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 12. Dezember 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Juli 2015 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr die während der stufenweisen Wiedereingliederung im Zeitraum 02. Dezember 2014 bis zum 26. Januar 2015 entstandenen Fahrkosten in Höhe von 1.369, 60 Euro zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die den Rechtsstreit betreffenden Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Gerichtsakten haben der Kammer vorgelegen. Sie sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Beratung gewesen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf ihren Inhalt Bezug genommen.

Rechtsweg:

Es liegen keine Informationen zum Rechtsweg vor.

Quelle:

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Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig und begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 12. Dezember 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Juli 2015 hält einer gerichtlichen Überprüfung nicht stand. Er ist rechtswidrig.

Zwar ist der Beklagten zuzugeben, dass sich der geltend gemachte Anspruch nicht aus den Vorschriften der gesetzlichen Krankenversicherung im Fünften Buch des Sozialgesetzbuches ergibt. Die Klägerin hat jedoch einen Anspruch auf die Erstattung von Fahrkosten gegen die Beklagte aus den Vorschriften des Neunten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB IX).

Gemäß §§ 44 Abs. 1 Nr. 5, 53 Abs. 4 SGB IX besteht ein Anspruch auf Reisekosten als ergänzende Leistung zur medizinischen Rehabilitation. Zu den Reisekosten zählen die im Zusammenhang mit der Ausführung einer Leistung zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben erforderlichen Fahr-, Verpflegungs- und Übernachtungskosten (§ 53 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Bei Benutzung eines eigenen Pkw wird eine Wegstreckenentschädigung in Höhe von 20 Cent je Kilometer zurückgelegter Strecke gewährt (§ 53 Abs. 4 Satz 1 SGB IX i.V.m. § 5 Abs. 1 des Bundesreisekostengesetzes).

Bei der stufenweisen Wiedereingliederung handelt es sich um eine Leistung der medizinischen Rehabilitation.

Hierfür spricht die systematische Stellung der Vorschrift des § 28 SGB IX, in der die stufenweise Wiedereingliederung für alle Leistungsträger einheitlich geregelt ist im Kapitel "medizinische Rehabilitation."

Diese Auffassung hat auch das BSG in mehreren Entscheidungen vertreten (Urteil vom 29. Januar 2008; B 5a/5 R 26/07 R, Urteil vom 20. Oktober 2009, B 5 R 44/08 R). In der letztgenannten Entscheidung weist der Senat ausdrücklich darauf hin, das gesamte Kapitel 4 des SGB IX, das die §§ 26 bis 32 umfasst, den Titel führt "Leistungen zur medizinischen Rehabilitation" und damit auch diejenigen Leistungen als medizinische Rehabilitationsmaßnahmen ausweist, die außerhalb des § 26 Abs. 2 SGB IX aufgeführt sind.

Dem entspreche, dass in § 30 und § 31 SGB IX medizinische Rehabilitationsleistungen im Sinne des § 26 Abs. 2 SGB IX näher geregelt werden. Der systematische Zusammenhang des § 28 mit diesen Vorschriften indiziere ebenfalls, dass auch die von ihm geregelte Maßnahme eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme darstelle.

Das SGB V enthält keine von den §§ 26 ff SGB IX abweichenden Vorschriften. Zwar findet sich in § 74 SGB V eine Regelung zur stufenweisen Wiedereingliederung, diese Regelung ist jedoch systematisch nicht in den Vorschriften über das Leistungsrecht angesiedelt, sondern im 2. Abschnitt "Beziehungen zu Ärzten, Zahnärzten und Psychotherapeuten" und enthält in erster Linie Bestimmungen über den Inhalt der im Rahmen der stufenweisen Wiedereingliederung erforderlichen speziellen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen und der damit zusammenhängenden Befugnisse und Pflichten der beteiligten Institutionen und Personen. Bezüglich des Leistungsinhalts sind allein die Vorschriften des SGB IX maßgeblich.

Da somit die von der Klägerin durchgeführte stufenweise Wiedereingliederung eine Leistung der medizinischen Rehabilitation darstellt, hat sie auch einen Anspruch auf Reisekosten als ergänzende Leistungen, denn die Vorschriften der §§ 44 Abs. 1 Nr. 5, 53 Abs. 4 SGB IX differenzieren nicht bezüglich der Art der durchgeführten Maßnahme.

In Anwendung des Bundesreisekostengesetzes hat die Klägerin danach Anspruch auf Fahrtkosten in Höhe von 1369, 60 Euro (214 km tägliche Fahrstrecke x 0,20 Euro x 32 Tage).

Der Klage ist deshalb in vollem Umfang stattzugeben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 SGG.

Referenznummer:

R/R8445


Informationsstand: 18.02.2020