1. Der Bescheid des Beklagten vom 31.10.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.10.2004 wird aufgehoben. Der Beklagte wird verpflichtet, über den Antrag des Klägers vom 4.8.2003 unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
2. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Streitgegenstand ist letztlich die Frage, ob vom zuständigen Integrationsamt ein Antrag des Arbeitgebers auf einen Zuschuss für die mit der Beschäftigung einer erblindeten Mitarbeiterin verbundenen außergewöhnlichen Belastungen im streitgegenständlichen Zeitraum ... Juni 2003 bis ... Mai 2004 allein mit der Begründung abgelehnt werden kann, das von der schwerbehinderten Mitarbeiterin erzielte Einkommen stünde in keinem vertretbaren Verhältnis zur beantragten Gesamtförderung der Mitarbeiterin, weil die Leistungen des Integrationsamts zusammen mit dem von der Bundesanstalt für Arbeit gewährten Eingliederungszuschuss zu einer Gesamtförderung von
ca. 108 % des für die blinde Mitarbeiterin zu bezahlenden Arbeitsentgelts einschließlich des pauschalen Arbeitgeberanteils am Gesamtsozialversicherungsbeitrag führen würde.
Der Kläger beschäftigt seit ... Juni 2003 Frau F. als Verantwortliche für Beratung und Interessenvertretung in der Beratungsstelle der Bezirksgruppe O. Frau F. ist vollständig erblindet und besitzt einen Schwerbehindertenausweis (
GdB 100).
Die Bundesanstalt für Arbeit - Zentralstelle für Arbeitsvermittlung - gewährte dem Kläger für den Zeitraum ... Juni 2003 bis ... Mai 2004 einen "Eingliederungszuschuss für besonders betroffene schwerbehinderte Menschen" der vom ... Juni 2003 bis ... Mai 2004 monatlich 1.265,92
EUR (60 % des berücksichtigungsfähigen Arbeitsentgelts einschließlich des Arbeitgeberanteils am Gesamtsozialversicherungsbeitrag) betrug.
Mit Schreiben vom 4. August 2003 beantragte der Kläger bei dem Beklagten ab ... Juni 2003 einen Zuschuss in Höhe von 50 Prozent der Lohnkosten für Frau R., weil Frau R. 50 Prozent ihrer wöchentlichen Arbeitszeit von 20 Stunden als notwendige Arbeitsassistenz von Frau F. tätig sein müsse, die aufgrund ihrer Erblindung eine Arbeitsassistenz von 10 Wochenstunden benötige. Im Einzelnen müsste Frau F. die eingehende Post, die ein Scanner nicht erfassen könne, vorgelesen werden. Sie müsse zu auswärtigen Terminen begleitet werden und benötige Assistenz bei Vorträgen und Referaten im Zusammenhang mit der ortsbezogenen Öffentlichkeitsarbeit.
Mit Bescheid vom 31. Oktober 2003 lehnte der Beklagte den Antrag vom 4. August 2003 ab.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass zwar grundsätzlich an den Kläger als Arbeitgeber von Frau F. Hilfen gemäß
§ 27 SchwbAV erbracht werden könnten. Nach den internen Richtlinien der Beklagten sollen diese Leistungen des Integrationsamtes zusammen mit den Leistungen anderer Träger jedoch in Höhe und Dauer in einem vertretbaren Verhältnis zu dem erzielten Arbeitseinkommen stehen. Hiervon könne nicht mehr ausgegangen werden, wenn die Leistungen 50 v.H. des Brutto-Arbeitsentgelts zuzüglich der Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung übersteigen würden. Im vorliegenden Fall würde sich für die Zeit vom ... Juni 2003 bis ... Mai 2004 eine Gesamtförderung von
ca. 2.290
EUR ergeben. Dies entspräche
ca. 108 % des berücksichtigungsfähigen Arbeitsentgelt von Frau F. In diesem Fall könne von einem vertretbaren Verhältnis zwischen dem von Frau F. erzielten Einkommen und den Leistungen des Arbeitsamtes und des Integrationsamtes nicht ausgegangen werden. Es sei nicht Sinn des
SGB IX, Arbeitgebern die Lohnkosten schwerbehinderter Arbeitnehmer vollständig zu ersetzen. Schließlich sei Frau F. produktiv tätig und erbringe eine verwertbare Arbeitsleistung. Nach Ablauf des Zeitraums, für den der Eingliederungszuschuss bewilligt worden sei, also ab 1. Juni 2004 wären Leistungen möglich. Es werde anheim gestellt, ab diesem Zeitpunkt einen neuen Antrag zu stellen.
Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger am 6. November 2003 Widerspruch, der mit Widerspruchsbescheid der Regierung ... vom 21. Oktober 2004 zurückgewiesen wurde. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass bereits die Tatsache, dass Frau F. ein Wahlamt ausübe, einer Förderung entgegenstehe. Frau F. sei zur Bezirksgruppenleiterin der Bezirksgruppe O. M. gewählt worden. Das Arbeitsverhältnis von Frau F. mit dem Kläger sei ausdrücklich auf die Dauer der Ausübung ihres Wahlamts zweckbefristet. Im Übrigen stehe das von Frau F. erzielte Einkommen in keinem vertretbaren Verhältnis mehr zu den Leistungen des Arbeitsamtes und des Integrationsamtes.
Mit Schreiben vom 8. November 2004 erhob der Kläger Klage bei dem Bayerischen Verwaltungsgericht München. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass bereits die Auffassung des Beklagten, Frau F. sei keine Arbeitnehmerin, unzutreffend sei. Denn unabhängig von ihrem Wahlamt sei Frau F. im Rahmen eines befristeten Arbeitsvertrages mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 30 Wochenstunden angestellt. Im Übrigen sei die Entscheidung des Beklagten ermessensfehlerhaft. Die von dem Beklagten angestellte Verhältnismäßigkeitsprüfung sei mit dem Sinn und Zweck des
SGB IX nicht vereinbar. In anderen Bundesländern werde in ähnlichen Konstellationen sehr wohl der außergewöhnliche Betreuungsaufwand zur Beschäftigung eines blinden Arbeitnehmers finanziert.
Mit Schreiben vom 13. Januar 2005 beantragte der Beklagte,
die Klage abzuweisen.
Am 10. November 2006 fand die mündliche Verhandlung statt, in der die Beklagtenvertreter erklärten, dass nunmehr anerkannt werde, dass es sich bei dem Arbeitsverhältnis mit Frau F. um einen "Arbeitsplatz" handele, der von dem Wahlamt getrennt zu sehen sei und dieses Wahlamt somit einer Förderung grundsätzlich nicht entgegenstehe.
Der Geschäftsführer des Klägers beantragte,
den Beklagten unter Aufhebung der Bescheide vom 31. Oktober 2003 und vom 21. Oktober 2004 zu verpflichten, über den Antrag des Klägers unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts München erneut zu entscheiden.
Der Vertreter des Beklagten beantragte Klageabweisung.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Behördenakte verwiesen.
Die Klage ist zulässig und begründet. Der Bescheid des Beklagten vom 31. Oktober 2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. Oktober 2004 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger hat einen Anspruch auf erneute Verbescheidung seines Zuschussantrages unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts (§ 113
Abs. 5 Satz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung -
VwGO -).
Rechtsgrundlage hierfür ist
§ 102 Abs.1 Nr. 3, Abs. 3 Satz 1 Nr. 2b SGB IX i.V.m. § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 lit. e und
§ 27 SchwbAV. Nach § 27
Abs. 1
SchwbAV können Arbeitgeber Zuschüsse zur Abgeltung außergewöhnlicher Belastungen erhalten, die mit der Beschäftigung eines schwerbehinderten Menschen verbunden sind, der nach Art oder Schwere seiner Behinderung im Arbeits- oder Berufsleben besonders betroffen ist (§ 72
Abs. 1
Nr. 1 Buchstabe a bis d des Neunten Buches Sozialgesetzbuch). Die Gewährung von Zuschüssen nach dieser Vorschrift steht somit im pflichtgemäßen Ermessen des zuständigen Integrationsamts.
Die vom Kläger angestellte Frau F. erfüllt die Voraussetzungen des
§ 72 Abs. 1 Nr. 1 lit. a SGB IX, da sie zur Ausübung ihrer Beschäftigung nicht nur vorübergehend einer besonderen Hilfskraft bedarf. Sie ist blind und benötigt zur Ausübung ihrer Tätigkeit bei dem Kläger wöchentlich 10 Stunden eine Vorlese-
bzw. Assistenzkraft.
Die Beschäftigung dieser Hilfskraft stellt auch eine außergewöhnliche Belastung des Arbeitgebers im Sinne des § 27
Abs. 2
SchwbAV dar. Außergewöhnliche Belastungen in diesem Sinne sind überdurchschnittlich hohe finanzielle Aufwendungen oder sonstige Belastungen, die einem Arbeitgeber bei der Beschäftigung eines schwerbehinderten Menschen auch nach Ausschöpfung aller Möglichkeiten entstehen und für die die Kosten zu tragen für den Arbeitgeber nach Art oder Höhe unzumutbar ist (§ 27
Abs. 2
SchwbAV). Die finanziellen Belastungen durch die Beschäftigung der Hilfskraft beliefen sich im streitgegenständlichen Zeitraum jährlich auf
ca. 8.000
EUR. Diese Kosten sind notwendigerweise mit der Beschäftigung der schwerbehinderten Arbeitnehmerin verbunden. Durch diese Aufwendungen wird der Kläger in unzumutbarer Weise finanziell belastet; es kann von einem Arbeitgeber nämlich billigerweise nicht erwartet werden, dass neben dem Arbeitslohn und den Lohnnebenkosten noch Leistungen für die Arbeitnehmerin erbracht werden, die die gesamten für die Arbeitnehmerin aufzuwendenden Kosten um einen erheblichen Teil steigern. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 27
Abs. 1
SchwbAV sind daher erfüllt.
Da die Tatbestandsvoraussetzungen des § 27
Abs. 1
SchwbAV vorliegen, hat der Kläger somit einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Verbescheidung seines Zuschussantrags. Dieser Anspruch wurde vom Beklagten noch nicht erfüllt, weil die Ablehnung des Zuschussantrags vom 3. August 2003 nicht ermessensfehlerfrei erfolgt ist.
Der Beklagte hat seinen versagenden Bescheid allein auf die Erwägung gestützt, dass im vorliegenden Fall die Leistungen des Integrationsamts und des Arbeitsamts zusammen eine Gesamtförderung in Höhe von 108 % des berücksichtigungsfähigen Arbeitsentgelts einschließlich des pauschalen Arbeitgeberanteils am Gesamtsozialversicherungsbeitrag von Frau F. ergeben würden; damit würden die Lohnkosten der schwerbehinderten F. vollständig ersetzt werden. Eine derartige Gesamtförderung stehe in keinem vertretbaren Verhältnis zu dem erzielten Arbeitseinkommen von Frau F. und sei nicht Sinn des
SGB IX.
Diese Begründung lässt jedoch unberücksichtigt, dass weder der vom Arbeitsamt gewährte Eingliederungszuschuss für besonders betroffene schwerbehinderte Menschen, noch der vom Integrationsamt begehrte Zuschuss zur Abgeltung außergewöhnlicher Belastungen, die mit der Beschäftigung eines schwerbehinderten Menschen verbunden sind, als Ersatz der Lohnkosten der Frau F. angesehen werden können. Während nämlich die Förderung seitens der Arbeitsvermittlung wegen erschwerter Vermittelbarkeit des Arbeitnehmers erfolgt und dem Arbeitgeber einen Zuschuss zu den außergewöhnlichen Aufwendungen aufgrund einer besonderen technischen Ausstattung des Arbeitsplatzes der Frau F. gewährt, wird mit den vom Integrationsamt begehrten Zuwendungen eine Bezuschussung der Personalkosten von Frau R. in der für ihre Tätigkeit als Arbeitsassistentin für Frau F. anfallenden Höhe begehrt. Beide Leistungen dienen somit unterschiedlichen Zwecken.
Weiterhin hat der Beklagte bei seiner Entscheidung außer Acht gelassen, dass die Leistungen des Arbeitsamts (Investitionskostenzuschuss) von ihrer Art her einmalige Leistungen sind, die lediglich über einen längeren Zeitraum anteilig ausgezahlt werden, während die vom Integrationsamt begehrten Zuschüsse zu den laufenden Lohnkosten der Assistenzkraft laufende Leistungen sind.
Schließlich wurde in der Entscheidung des Beklagten nicht darauf eingegangen, dass bei einer anderen Gestaltungsweise des Arbeitsverhältnisses mit Frau R. die Kosten für die Arbeitsassistenz vom Beklagten zu bezuschussen gewesen wären. Hätte Frau F. selbst eine Assistenzkraft angestellt, hätte sie gegenüber dem Beklagten
gem. § 102
Abs. 4
SGB IX einen Anspruch auf Übernahme der Kosten einer notwendigen Arbeitsassistenz gehabt. Angesichts dieser Rechtslage bedarf eine Ermessensentscheidung, mit der ein Antrag des Arbeitgebers auf Bezuschussung der Kosten einer Assistenzkraft abgelehnt wird, die er selbst zugunsten eines Mitarbeiters angestellt hat, um seinem schwerbehinderten Arbeitnehmer das nicht unerhebliche Arbeitgeberrisiko und Abrechnungsprobleme zu ersparen, einer besonderen Begründung. Derartige Erwägungen fehlen im vorliegenden Fall.
Da der Beklagte seiner Entscheidung somit fälschlicherweise die Erwägung zugrunde gelegt hat, dass mit den Zuschüssen des Arbeitsamts und des Integrationsamts die Lohnkosten von Frau F. erstattet würden und er zudem nicht berücksichtigt hat, dass bei einer anderen Gestaltungsweise die Kosten einer Arbeitsassistenz gefördert hätten werden müssen, sind bei der Entscheidung wesentliche Gesichtspunkte nicht berücksichtigt worden, die nach den Umständen des konkreten Falls für eine sachgerechte Abwägung hätten berücksichtigt werden müssen. Es liegt somit ein Ermessensfehler in Form eines Entscheidungsdefizits vor. Da nicht auszuschließen ist, dass der Beklagte im Ergebnis anders entschieden hätte, wenn er sämtliche relevanten Gesichtspunkte vor der Entscheidungsfindung berücksichtigt hätte, wird der Kläger durch die ermessensfehlerhafte Entscheidung auch in seinen Rechten verletzt. Der streitgegenständliche Bescheid in der Fassung des Widerspruchsbescheids war daher aufzuheben. Der Beklagte war zu verpflichten, über den Antrag des Klägers erneut zu entscheiden.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154
Abs. 1
VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 188 Satz 2
VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung hat ihre Rechtsgrundlage in § 167
VwGO i.V.m. § 708 ff
ZPO.